SPIEGEL ONLINE PANORAMA
Von Jörg Diehl und Anna-Lena Roth
Donnerstag, 17.01.2013
Eine 25-Jährige wurde möglicherweise vergewaltigt und sollte untersucht werden – doch zwei katholische Kliniken in Köln wiesen die Patientin ab. Ein bedauerlicher Einzelfall, heißt es nun. Doch der Vorgang zeigt, welches Klima in den Kliniken des Erzbistums zu herrschen scheint.
Köln – Als die 25-Jährige die Praxis betritt, ist sie aufgelöst, weint, hat Schmerzen, ihre Kleidung ist verdreckt. So jedenfalls erinnert sich die Ärztin Irmgard Maiworm, die am 15. Dezember 2012 den Notdienst im Kölner Stadtbezirk Nippes macht. Die Frau erscheint in Begleitung ihrer Mutter und beginnt zu erzählen: Kurz zuvor sei sie auf einer Parkbank aufgewacht, wie sie dort gelandet sei, wisse sie nicht, doch sie habe Schwindelgefühle und verspüre ein Stechen im Unterleib. “Bei den Symptomen lag es nahe, dass die junge Frau mit K.-o.-Tropfen betäubt wurde”, so Maiworm. Auch eine Vergewaltigung kann die Medizinerin nicht ausschließen.
Daher soll eine gynäkologische Untersuchung Gewissheit bringen. Zudem möchte Maiworm, dass Spuren einer möglichen Straftat gesichert werden. Seit Juli 2011 gibt es in Köln das Projekt ASS. Dabei können Vergewaltigungsopfer nach der Tat Spuren sammeln und anonym aufbewahren lassen – um anschließend in Ruhe zu entscheiden, ob sie eine Anzeige bei der Polizei erstatten wollen.Ein Kollege Maiworms ruft also in der benachbarten Klinik an, dem St. Vinzenz-Hospital. Die Zusammenarbeit sei bisher sehr gut gewesen, sagt die Ärztin. Doch nach dem Telefonat ist ihr Kollege fassungslos – die Klinik hat eine Untersuchung abgelehnt. Die Begründung: Seit zwei Monaten gebe es eine Weisung, dass entsprechende Untersuchungen nicht mehr stattfinden dürften. Schließlich müsse man dabei auch über eine mögliche Schwangerschaft, einen Abbruch und die “Pille danach” sprechen. Abtreibung jedoch lehnt die katholische Kirche strikt ab – und sie ist Träger der Klinik.
“Sie war unsicher und ängstlich”
Der Gynäkologin aus dem St. Vinzenz-Hospital macht Maiworm keinen Vorwurf: “Sie war unsicher und ängstlich. Einerseits wollte sie helfen, andererseits hat sie einen Arbeitsvertrag unterschrieben und muss daher der Weisung folgen.” Eine Kollegin sei bereits entlassen worden, weil sie sich der Regelung widersetzt habe, habe die Ärztin ihr gesagt, so Maiworm.
Maiworms Kollege ruft im Heilig Geist-Krankenhaus an, um die Spurensicherung dort vornehmen zu lassen, doch auch diese Klinik wird von der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria geführt. Die Helfer erhalten eine “fast wortgleiche Antwort”, erinnert sich Maiworm.
Die 25-Jährige wird schließlich im Evangelischen Krankenhaus Kalk untersucht. “Das war selbstverständlich”, so Wolfgang Maurer, Chefarzt der dortigen Frauenklinik. Man habe es schließlich mit jemandem zu tun gehabt, dem geholfen werden musste, “unabhängig von der eigenen Weltanschauung”. Die junge Frau ist nach Maurers Einschätzung die erste Patientin, die von einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft abgewiesen wurde. Auch von einer Weisung, die es dort seit zwei Monaten geben soll, sei ihm bisher nichts bekannt gewesen, sagt er.
Bedauern über ein Missverständnis
Tatsächlich hat das klinische Ethikkomitee der Hospitalvereinigung Anfang November 2012 eine Stellungnahme für die Behandlung und Versorgung bei einem vermuteten Sexualdelikt verabschiedet. Es soll den Ärzten als eine Art Handbuch dienen und Sicherheit bei ethischen Fragestellungen geben, wie es darin heißt.
Auf der Pressekonferenz der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria ist am Donnerstagnachmittag dennoch vielfach von “Missverständnissen” und “Kommunikationsproblemen” die Rede. Zwar bestätigt ein Sprecher, dass die Frau tatsächlich in den beiden Häusern nicht behandelt worden sei. “Das ist jedoch nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung, sondern ein bedauerlicher Einzelfall”, so Christoph Leiden.
Offenbar seien die jeweiligen Assistenzärzte, darunter offenbar eine junge Medizinerin im zweiten Weiterbildungsjahr, mit der Situation überfordert gewesen. Auslöser der Verunsicherung war den Angaben zufolge die neue Stellungnahme der Ethikkommission, in denen Empfehlungen für den Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauchs schriftlich fixiert worden waren. Unklar ist allerdings, was genau die Irritationen verursachte, soll das Dokument doch angeblich lediglich die bislang gängige Praxis festhalten.
“Vollumfänglich versorgt”
Demnach werden Frauen, die vergewaltigt worden sind, in den betreffenden katholischen Krankenhäusern “vollumfänglich medizinisch versorgt”, wie Sprecher Leiden sagt. Lediglich die “Pille danach” könne nicht verschrieben werden, weil das Medikament gegen die moraltheologischen Grundsätze der katholischen Kirche verstoße. Nach Auskunft der Chefärztin des St. Vinzenz-Hospitals, Wencke Ruhwedel, überweist ihr Haus daher seit Jahren betroffene Frauen, die sich zu diesem Schritt entschlossen haben, an andere Ärzte.
Darstellungen, einem Mediziner sei gekündigt worden, weil er gegen die in der Stellungnahme des Ethikrats formulierten Leitlinien verstoßen habe, weisen die Klinik-Offiziellen entschieden zurück. “Das kann ich ausschließen”, so der Geschäftsführer des St. Vinzenz-Hospitals, André Meiser. Auch habe es keinesfalls eine generelle Anweisung gegeben, Opfer von Sexualdelikten nicht zu behandeln. Jedoch sei es ein Fehler gewesen, die Empfehlungen des Ethikrats nicht intensiver in der Belegschaft zu diskutieren. Das werde man nachholen.
Offenkundig herrscht in den betreffenden Kliniken des als besonders konservativ geltenden Kölner Erzbistums jedoch ein Klima, das eigenverantwortlichem Handeln nicht unbedingt zuträglich ist. Auch Irmgard Kopetzky vom Verein Notruf für vergewaltigte Frauen in Köln stellt fest, dass zahlreiche Ärzte an den betreffenden Krankenhäusern “offenkundig verunsichert” seien und nicht mehr wüssten, wie sie Missbrauchsopfer behandeln sollten.Darf ein christliches Dogma die Entscheidung eines Arztes beeinflussen? Dies sei in den betroffenen Kölner Kliniken “offensichtlich ein Konflikt”, sagt Michael Helmkamp vom Marburger Bund in Nordrhein-Westfalen. Die Mediziner befinden sich demnach in einem grundsätzlichen Dilemma: Sie müssen in Einzelfällen abwägen, ob das, was aus ärztlicher Sicht geboten ist, auch mit den Grundprinzipien der katholischen Kirche in Einklang zu bringen ist. In letzter Konsequenz sollten sich Mediziner daher fragen: “Möchte ich unter diesen Bedingungen arbeiten?”
Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium will nun klären, ob an den Kölner Kliniken gegen gesetzliche Regelungen verstoßen worden ist. Dazu müsse jedoch zunächst, so heißt es in einer Mitteilung, der Sachverhalt zweifelsfrei aufgeklärt werden.